Home

Ćevapčići und Kruškovac: Gastronomische Betriebe von MigrantInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien in der BRD

Dr. Vladimir Ivanović (Universität Belgrad), Ruža Tokić, M.A. (Humboldt-Universität zu Berlin)

In enger Kooperation zwischen der Universität Belgrad und der Humboldt-Universität zu Berlin soll in diesem Projekt das Phänomen des „migrantischen Unternehmertums“ von Einwanderern aus dem ehemaligen Jugoslawien in der BRD untersucht werden (vgl. Hillmann 2011). In den Fokus werden dabei die Gastronomiebetriebe jugoslawischer MigrantInnen in (West-)Berlin mit ihren spezifischen Einwanderungsgeschichten, den strukturellen Rahmenbedingungen vor Ort sowie den transnationalen Beziehungen zu den Herkunftsländern genommen. Gaststätten bilden hierbei nicht nur neue Konsumorte, die sowohl eine Internationalisierung der deutschen Essgewohnheiten als auch die nationale Herausbildung einer spezifischen „Balkanküche“ bewirken, sondern auch Kontaktzonen, innerhalb derer sich Wandel und Kontinuitäten in den „deutschen“ Vorstellungen über „Jugoslawien“ sowie Selbstbilder der MigrantInnen und ihre Perzeption in den Herkunftsländern aufzeigen lassen (vgl. Möhring 2012). Unmittelbar mit dem Aufstieg und Erfolg der jugoslawischen Gastronomie ist der Zuzug jugoslawischer „Gastarbeiter“ (vgl. Ivanović 2012; Brunnbauer/Novinšćak/Voß 2011) sowie der einsetzende bundesdeutsche Massentourismus verknüpft, so dass Verflechtungen zwischen Migration, Unternehmensgründungen und Tourismus eine besondere Bedeutung zukommt.

Auch wenn die Bedeutung selbständiger MigrantInnen für den deutschen Arbeitsmarkt mittlerweile bekannt ist und sich mit zunehmender Zahl Studien diesem Thema widmen (vgl. Janz/Sala 2011; “Ethnisierung und Ökonomie“ 2000), so bleiben MigrantInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien zumeist außen vor, obwohl sie die viertgrößte Gruppe ausländischer Selbständiger in der BRD bilden. Darüber hinaus sollen auch methodisch anhand konsum-, kultur- und migrationshistorischer Ansätze im Kontext der Untersuchung von Repräsentationen sozialer Ordnung neue Perspektiven auf die noch immer stark von sozial-, wirtschafts- und politikgeschichtlichen Zugängen geprägten Arbeiten zu MigrantInnen eröffnet werden, so dass diese als AkteurInnen von den Rändern in das Zentrum der Forschung geholt werden.

Der Forschungsarbeit liegen dabei die Leitfragen zugrunde, wie einerseits aus jugoslawischen MigrantInnen selbständige Unternehmer und Gewerbetreibende in der BRD werden konnten und andererseits wie sich die Repräsentationen von Jugoslawien und dem Westen durch die Entstehung der Gastronomiebetriebe wandelten. Ein Fokus wird dabei auf die Umbruchphasen und den damit verbundenen Repräsentationswandel gelegt – die Ankunft jugoslawischer MigrantInnen und deren Unternehmensgründungen in den 1960er und 1970er Jahren, den Ausbruch der Kriege in den 1990er Jahren und als Ausblick die Entwicklungen in den Jahren danach.

Am Beispiel empirischer Studien sollen Gründungsmotive, Geschäftsbiographien, betriebliche Verläufe und transnationale Handlungsstrategien vor dem Hintergrund persönlicher und historisch-politischer Umstände der Migration untersucht werden. Neben den staatlich-bürokratischen Rahmenbedingungen sollen die spezifischen Entstehungsumstände und Ausformungen gastronomischer Betriebe anhand eines kulturhistorisch-anthropologischen Zuganges und biographischer Interviews analysiert werden (vgl. Halter 1995).

Auf der Grundlage einer deutschen und jugoslawischen Presseschau, der Auswertung von Gastroführern, privater Dokumente, Fotomaterial und Interviews soll mit Blick auf die Selbst- und Fremdbilder, die sich in Folge des migrantischen Unternehmertums entwickelten, der Frage nachgegangen werden, welche Jugoslawien-Repräsentationen und symbolischen Werte den deutschen Gästen vermittelt wurden sowie was für Vorstellungen vom Westen sich seitens der jugoslawischen MigrantInnen herausbildeten. In enger Beziehung hierzu steht auch der einsetzende Massentourismus nach Jugoslawien und dessen Einfluss auf die Ausstattung, Namensgebung und Speisenauswahl der Lokale und die Verbindung des Restaurantbesuchs mit Urlaubsassoziationen. Welche Auswirkungen ergaben sich daraus auf die Entwicklung einer spezifischen „Balkanküche“ und welche Speisen wurden zum Markenzeichen dieser gemacht (vgl. Teuteberg/Neumann/Wierlacher 1997)? Die Kriege und der staatliche Zusammenbruch in den 1990er Jahren bildeten darüber hinaus eine einschneidende Zäsur für die Untersuchung des Wandels von Jugoslawien-Repräsentationen innerhalb der jugoslawischen Gastroszene in der BRD. In diesem Rahmen wird danach gefragt, wie sich das Eigen- und Selbstbild der jugoslawischen Lokale änderte, was repräsentativ vom sozialistischen Jugoslawien erhalten blieb, welche neuen, einzelstaatlichen Bilder geprägt wurden und wie die Kundschaft auf diese Abgrenzungs- und Neuordnungsmechanismen reagierte.

Die in den jugoslawischen Gaststätten in Berlin erzielten Forschungsergebnisse werden dabei immer mit den Wahrnehmungen, Entwicklungen und Verflechtungen in den Herkunftsregionen der MigrantInnen rückgekoppelt. Anhand der jugoslawischen Archive und Feldforschungen vor Ort in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien wird Fragen nach den Wechselwirkungen zwischen der BRD und Jugoslawien, der Beurteilung und dem Einfluss der Betriebe auf die jugoslawische Wirtschaft sowie der Bedeutung der familiären Beziehungen und Kontakte zum Herkunftsort nachgegangen.

Um diese Forschungsfragen beantworten zu können, ist das Projekt kooperativ, auf den wissenschaftlichen Austausch der beiden Beteiligten, die lokalen Expertisen und die gemeinsamen Forschungen vor Ort ausgerichtet. Den mehrmonatigen Aufenthalten von Dr. Ivanović in Berlin, der sich mit seiner historisch-anthropologischen Forschung zu Gastarbeitern in der BRD und Österreich qualifiziert hat, kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Gerade diese enge wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Frau Tokić, in der das empirische Material gemeinsam generiert und evaluiert wird, ermöglicht einen intensiven, grenzüberschreitenden und projektbezogenen Austausch, wodurch eine Brücke zwischen Belgrad und Berlin geschlagen wird, von der alle Seiten inhaltlich und methodisch profitieren werden.

Working Papers

Vladimir Ivanović (2013): Jugoslovenske fabrike dobrih ukusa. Berlin: Forschungsprojekt „Repräsentationen des sozialistischen Jugoslawien im Umbruch“ (Working Papers, 1).

Downloadpdf

Ruža Fotiadis (2013): Der Balkan im Kochtopf: Essen und Ethnizität, Konsum und Kultur am Küchentisch. Berlin: Forschungsprojekt „Repräsentationen des sozialistischen Jugoslawien im Umbruch“ (Working Papers, 2).

Download pdf

Vladimir Ivanović (2013): Jugoslovenske fabrike dobrih ukusa. (Working Paper II). Berlin: Forschungsprojekt „Repräsentationen des sozialistischen Jugoslawien im Umbruch“ (Working Papers, 11).

Downloadpdf